Dienstag, 9. August 2016

Spielvorstellung - "Steampunk Rally" (Oder: "Eine Geschichte vom auf der Strecke bleiben.")

#Orin Bishop, #Roxley Games, #Brettspiel, #Boardgame

Neue Runde, neues Glück: Wieder einmal halte ich vier Karten auf der Hand, die Auswahl zwischen pfeifender Dampfentlüftung, elektrisch blitzenden Ionen-Schubdüsen und superheißem Boiler bringt mein Hirn zum Brodeln und meine Hände zum Schwitzen. Und dann ist da ja noch der "Faradaysche Käfig", der mich vor den Aktionskarten meiner Kontrahenten bewahren könnte. Obwohl ich besonders von der Dampfentlüftung ein leises "Nimm mich, nimm mich!" zu vernehmen glaube, entscheide ich mich für den Käfig. Ich kenne meine Gegenspieler inzwischen gut genug... Ein letzter, unauffälliger Blick über die Höllengefährte der entschlossen dreinblickenden Wright Brüder, des zuversichtlich grinsenden Albert Einstein und der recht unbeeindruckt scheinenden Ada Lovelace und ich mache meinen Frieden mit der Entscheidung. Zur Belohnung spielt mir mein Unterbewusstsein einen graubärtigen Kreuzritter ein, der mir zunickt: "Eure Wahl war weise!" Kurz bevor ich tatsächlich geneigt bin ihm zu glauben, werden drei neue Karten in meine Richtung geschoben und die (wunderbaren) Strapatzen beginnen aufs Neue.


A. Man, I love me some good drafting!


 Würde mich jemand fragen – und ich bin mir sicher, irgendwer da draußen wird sich sicherlich dafür interessieren, egal was zwei-drittel der Geister, die meine Wohnung heimsuchen, behaupten – warum ich meinen frischen, zeitgemäß ausgestalteten und literarisch wertvollen Brettspiele-Blog mit einer Rezension zu Steampunk Rally einweihe, so hätte ich zwei Antworten parat: Erstens haben wir es hier mit einem fantastischen (Ähem, Spoileralarm!) Spiel (im doppelten Sinne) zu tun und zweitens mit einem, das in unserer Spielerunde als gern gewählter Fundus von Anekdoten und nostalgisch überhöhten Parabeln von der Ruchlosigkeit meiner Freundin (im Folgenden schlicht "die Herzdame" genannt) inzwischen einen festen Platz eingenommen hat.

 Im Kern ist SpR (Steampunk Rally) von Designer Orin Bishop und Roxley Games ein nicht allzu schwergewichtiges Card-Drafting, Dice-Rolling und Engine-Building-Game (Zur Bedeutung dieser merkwürdigen Worte später mehr), in dem euer Ziel darin besteht als erster Pilot (und zugleich einer von sechzehn illustren Wissenschaftler/-innen der Moderne) eine möglichst intakte Steampunkapparatur über die Ziellinie einer Rennstrecke in den schweizer Alpen zu manövrieren und dabei im besten Falle nicht (allzu oft) zu explodieren. Ein Sieg erfordert dabei nicht nur eine wohlüberlegte Auswahl an Maschinenteilen, den geschickten Einsatz von Dampf, Elektrizität und Hitze, sondern auch einige zum richtigen Zeitpunkt eingesetzte schmutzige Tricks.

 Dieser letzte, gemüterentzündende Faktor meiner Beschreibung gemischt mit einer Prise des zumeist unterschwellig lodernden, aber auf der Zielgeraden explosiv hervortretenden Siegeswillen der Herzdame ist es, der jede unserer Partien SpR von einem in der Regel leichtherzigen "everyman/woman for him/herself " in ein Boss-Battle auf "Dark Souls"-Niveau verwandelt.

 Zur Illustration eine frühe, unveröfentlichte Fassung meines vorliegenden Reviews, geschrieben nach unserem letzten gespielten Rennen:

// Review zu "Albert Einstein: Fury Road"

"Albert Einstein: Fury Road" ist ein gnadenloses Wettrennen einiger weniger, verzweifelter Überlebender, die ohne einen Funken Hoffnung in ihren Herzen versuchen einem psychotischen Irren, gefürchtet als Immortan Albert zu entfliehen, indem sie, durch ein bedrohliches Kreuzfeuer von Partikel- und Desintegrationsstrahlen, griechischem Feuer, Erdbeben und vorbei an den brennenden Vehikeln ihrer glücklosen Freunde, die rettende Grenzlinie einer Rennstrecke überqueren und auf dem Weg dorthin im besten Falle nicht (allzu oft) explodieren. //

#SteampunkRally, #Einstein, #MadMax
Striking resemblance, don't you think?

 Glücklicherweise haben wir für derartige Partien (d.h. diejenigen in denen abermals ein todsicher geglaubter Plan auf der Zielgeaden durch Fremdeinwirkung zwischen den eigenen siegesgierigen Fingern zerbröselt) ein bislang weitgehend geheimes, jedoch äußerst wirkungsvolles System entwickelt, um die aufkeimenden Verstimmungen und unausweichlichen Vergeltungswünsche unter Kontrolle zu halten: Der großzügige Einsatz von Teambuilding-Lasagne.

 Sobald also Lasagne-Platten, Bolognese und Béchamel-Soße bereit stehen, kann auch der eigentliche Spielaufbau in Angriff genommen werden.

B. Spielablauf


Aufbau und Komponenten

 Zunächst wird die Rennstrecke aus sechs Streckenabschnitten (Start, Ziellinie und Ende, sowie drei von fünf möglichen Mittelteilen) zusammengesetzt – wahlweise in der Erscheinungsform "Alpen" oder für Fortgeschrittene umseitig auch als Variante "Hoverdrome" mit zusätzlichen Sprung- und Publikumsabschnitten. Zudem werden die (wunderbar schmackhaft aussehenden) Würfel (Dampf – Blau, Hitze – Rot, Elektrizität - Gelb), sowie Zahnräder bereitgelegt und die vier verschiedenen Arten Maschinenteile (Kupfer, Silber, Gold und Boostkarten) in separate, verdeckte Nachziehstapel neben den Spielplan sortiert. Wenn schließlich jeder Spieler einen Schadensanzeiger, ein Glühbirnen-Token, sowie einen Erfinder-Aufsteller seiner Wahl (oder nach Differenzenbeilegung in der Donnerkuppel auch einfach nur einen der Erfinder, die übriggeblieben sind) und beide zugehörige Fahrzeugteile (Cockpit und erstes Maschinenteil) erhalten hat, kann das Rennen in die erste (Spiel-)Runde gehen.

#SteampunkRally, #Brettspiel, #Boardgame
1: Spielplan "Hoverdrome"; 2: Erfinder-Startkarten, Glühbirnenmarker, Schadensanzeiger und Spielhilfen; 3: Würfel, Zahnräder (Marker und Kickstarker-exklusive Metalveriante); 4: Maschinenteile: Bronze, Gold, Silber und Boostkarten

Spielziel


 Sobald ein Spieler die Ziellinie überquert, wird die letzte Spielrunde eingeläutet. Wer am Ende dieser Runde die größte Strecke hinter der Zielline gut gemacht hat, wird zum Gewinner erklärt. Im Falle eines Unentschiedens gewinnt derjenige der beiden Spieler, dessen Erfindung aus den meisten Maschinenteilen besteht. (Denn größer ist immer besser!)

Die (knappen) Basics


 Jede Runde in Steampunk Rally besteht aus vier Phasen, die von allen Spielern gleichzeitig, jedoch Phase für Phase abgehandelt werden.

Phase 1: Draft


 Jeder Spieler erhält 4 Handkarten (je ein Maschinenteile in Kupfer, Silber, Gold und eine Boostkarte), wählt sich von diesen eine aus und legt sie verdeckt vor sich ab. Sobald alle Spieler gewählt haben, werden die Karten gemeinsam aufgedeckt und entweder 1. als Maschinenteil an die Erfindung angebaut (wobei immer zumindest eine Ventil-Verbindung mit einem anderen Part hergestellt werden muss), 2. für zwei Würfel der angegebenen Farbe oder Zahnräder eingetauscht oder 3. im Falle einer Boostkarte verdeckt unter den Schadensanzeiger gelegt und für den späteren Einsatz aufbewahrt. Die verbliebenen Karten werden (je nach Runde wechselnd im oder gegen den Uhrzeigersinn) an den nächsten Mitspieler weitergereicht, so lange bis jeder Spieler insgesamt vier Karten ausgewählt und eingesetzt hat.

Phase 2: Vent


 In der Entlüftungsphase können die Spieler angesammelte Zahnräder nutzen um den Würfelwert auf ihren aus den vorherigen Runden auf den Maschinenteilen verbliebene Würfel pro Zahnrad um bis zu zwei Punkte zu reduzieren (d.h. entweder einen Würfel um 2 Punkte oder zwei Würfel um jeweils einen Punkt). Würfel deren Wert unter eins fällt werden von den Maschinenteilen entfernt.

Phase 3: Race


 Die in der Draftphase erhaltenen Würfel werden nun gewürfelt (Zahnräder können auch in dieser Phase eingesetzt werden, um den Wurf eines Würfels zu wiederholen und einen gewürfelten Wert um einen Punkt zu erhöhen) und können je nach erwürfeltem Wert eingesetzt werden, um Maschinenteile und deren spezifischen Effekte zu aktivieren.

#SteampunkRally, #MarieCurie, #Brettspiel, #Boardgame
Marie Curie's teilweise aktivierte Höllenmaschine.

 Die Palette reicht dabei vom Generieren neuer Würfel, Zahnräder und Schutzschilde – deren Bonus auf dem Schadensmarker vermerkt wird – über das Entfernen von Würfeln aus der Maschine (im besten Falle solche, die Plätze in der Erfindung mit hohen Werten längere Zeit blockieren würden), bis hin zur ganz profanen Bewegung. Die eingesetzten Würfel können dabei Effekte auch mehrfach aktivieren, falls ihre Augenzahl ein Vielfaches des erforderlichen Werten aufweist (also bspw. dreifach, wenn eine 6 in einen Slot eingesetzt wird, der mindestens eine 2 benötigt). Alle ausgelösten Wirkungen werden dabei sofort ausgeführt, was im Besonderen für die Fortbewegung relevant ist, denn die gibt es in zwei Varianten: Als normale Bewegung und als goldene Version, die schwieriges Gelände ignorieren darf. Solange dieses nämlich nicht umgangen oder andersweitig ausgehebelt wird, muss für jeden überquerten Terrainpunkt der Schadensanzeiger um einen Punkt verringert werden.

Phase 4: Damage


 Falls der Schadensanzeiger in der Damage-Phase über 0 steht, so müssen keine Anpassungen vorgenommen werden. Sollten die Spieler ihre Erfindungen aber so sehr geschuden haben, dass die Integrität der Maschine in den negativen Bereich gesunken ist, so muss pro Schadenspunkt ein Maschinenteil abgeworfen werden. Wer seine Erfindung gänzlich schrottreif gefahren hat und sein Cockpit abwerfen müsste, der explodiert stattdessen und fällt auf das Feld hinter dem aktuell letztplatzierten Spieler zurück.

C. The Good, the Bad, the Weird


The Good

 Allen voran punktet "Steampunk Rally" durch ein nahezu einzigartiges Thema: Wo sonst könntet ihr euch mit Lise Meitner mit einer Steampunkseifenkiste einen Abhang hinabstürzen? Wer sich in der Lage sieht die Augen vom hinreißenden Artwork der Karten und den wunderbar comichaft eingefangenen Erfinderstandees zu lösen und zudem nicht wie meine Person in ständiger Versuchung lebt eine Handvoll der durchsitigen, farbenfrohen Würfel in den Mund nehmen zu wollen und daran herum zu lutschen (Keine Angst Spielegruppe, das ist – bislang – noch nicht vorgekommen!), der bekommt auch auf technischer Seite ein nahezu makelloses Spielerlebnis, das seinen Gegenstand auch hervorragend mechanisch einfängt. Letztlich macht es einfach jede Menge Laune blaue "Dampf"-Würfel in einem Generator zu werfen um dann mit einer riesigen Menge Elekrizität seine Arachnolegs voranzupeitschen.

 Fast alle unserer bislang gespielten Partien (Mit wechselnder Spieleranzahlen, ohne jedoch bisher das Maximum von 8(!) möglichen Spielern erreicht zu haben, was vermutlich einen wesentlich größeren Tisch in unserem Wohnzimmer notwendig machen würde) blieben dabei bis zum Ende fesselnd, denn auch klug zusammengestellt kleinere Erfindungen können mit der Hilfe von Boostkarten gut mit den oftmals im Laufe der Partie entstehenden, riesigen Steampunk-Leviathanen mithalten, die ohne die notwenige Versorgung durch Zahnräder und Ressourcen schwer zur Höchstleistungen auflaufen. Besonders die Finalrunden werden häufig zu Zerreisproben für die Spieler und ihre Erfindungen, die an alle ihre möglichen und unmöglichen Grenzen getrieben werden. Ein Beispiel gefällig? Schiebt schonmal die Teambuilding-Lasagne in den Ofen, wir kommen zurück zur Herzdame.

 Die "Herzdame" folgt auch bei Steampunk Rally einem recht simplen Prinzip: Verlieren ist absolut in Ordnung. Zumindest solange man einen einzelnen großartigen Zug im Laufe des Spiel generieren kann, der einen bestenfalls auch noch mit den qualmenden Überresten seiner Widersacher belohnt, an denen mann dann diabolisch kichernd vorbeiziehen kann. Dann muss man eigentlich auch gar nicht mehr verlieren. Hurra! Wie man das zustande bringt? Nunja, ihr könntet etwa, wenn ihr bemerkt, dass eure Rivalen recht komplexe Maschinen errichtet haben und euch dicht auf den Fersen sind, die Karte "Disintegrator Ray" spielen und sie einen Punkt Schaden für jedes ihrer Maschinenteile über dem 6. hinaus erleiden lassen. Und, weil ihr dann gerade schon dabei seid, verleiht doch jedem Feld auf der Strecke, das keinen Terraieffekt hat mit "Wheater Machine" einen Punkt Schaden. Oh, und einem anderen Feld am besten noch zwei weitere Schadenspunkte mit "Greek Fire", wir wollen doch nicht geizen! Falls ihr aber auch selbst einiges an Schaden einstecken musstet, keine Sorge, die "Mass Ejection" befördert euch noch zwei Felder nach vorn, ganz sorgenfrei. Herzlichen Glückwusch, sie haben ihre Konkurrenten ausradiert!

The Bad


 Abgesehen von der zermürbenden Wirkung einer Partie Steampunk Rally mit Spielern, die einen kleinen "Take that"-Mechanismus gerne mal überanspruchen, gibt es vor allem zwei Aspekte an denen nicht jeder Gefallen finden wird. Einerseits existiert neben dem Draft, der immer auch eine Einschätzung der Gegenspieler erfordert (Was sollte/kann ich mir erlauben weiterzugeben; Wovon hat mein Gegner den meisten/wenigsten Nutzen?) und dem Einsatz besagter Boostkarten existiert nahezu keine Interaktion zwischen den Spielern. Die Vent-, Race- und Damagephasen präsentieren sich dementsprechend, und darin besteht auch zugleich das zweite mögliche KO-Kriterium, eher als komplexes Solitär-Puzzlespiel, in dem ihr alleine eure Optionen abwägt und den optimalen Einsatz für eure Würfel berechnet. Das Spiel ähnelt in diesem Punkt dem Mitbewerber um den "Preis für die leckersten Würfel" Roll for the Galaxy, hält für den geneigten Social Gamer gerade durch den potentiellen Einsatz der Boostkarten jedoch eine ganze Reihe mehr Möglichkeiten bereit seinen (ehemaligen) Freunden die Suppe zu versalzen.

The Weird


 Kennt ihr diesen Moment, wenn ein Mechanismus eure Immerison bricht? Gerade befindet ihr euch noch applaustrunken im "Hoverdrome", fliegt mit einem weiten Sprung über die eingestürzten Brückenteile hinweg und seid nun dabei neue Pläne für die Verbesserung eurer Erfindung zu schmieden. Hey, ein Propeller! Das wär doch genau das Richtige um eurer "Turborachnominator" das letzte nötige Fünkchen Esprit zu verleihen! Aber halt: Ihr habt keinen Platz für einen Propeller...
Oder etwa doch? Ja, bestimmt, denn das Spiel erlaubt es euch zu jeder Zeit eure Maschinenteile neu zu ordnen oder nicht mehr benötigte Maschinenteile abzuwerfen. Inklusive der darauf befindlichen Würfel, die ihr bereits für die Aktivierung eingesetzt habt: "Entlüften? Nein, nein, da wo ich herkommen sprengen wir den Sch..ss einfach ab!" (Well, that escalated quickly...)

Fazit

 Großartiges, zum Ende einer Partie bisweilen recht komplexes, farbenfrohes und mitunter auch wildes Brettspiel für fortgeschrittene Baumeister und Naturgesetzebieger.




Zusätzliche Informationen

Verlag: Roxley Games
Autor: Orin Bishop
Spielerzahl: 2 - 8
Spieldauer: ca. 60 - 90 Minuten
Altersempfehlung des Verlags: 14+

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