Neue
Runde, neues Glück: Wieder einmal halte ich vier Karten auf der
Hand, die Auswahl zwischen pfeifender Dampfentlüftung, elektrisch
blitzenden Ionen-Schubdüsen und superheißem Boiler bringt mein Hirn
zum Brodeln und meine Hände zum Schwitzen. Und dann ist da ja noch
der "Faradaysche Käfig", der mich vor den Aktionskarten
meiner Kontrahenten bewahren könnte. Obwohl ich besonders von der
Dampfentlüftung ein leises "Nimm mich, nimm mich!" zu
vernehmen glaube, entscheide ich mich für den Käfig. Ich kenne
meine Gegenspieler inzwischen gut genug... Ein letzter, unauffälliger
Blick über die Höllengefährte der entschlossen dreinblickenden
Wright Brüder, des zuversichtlich grinsenden Albert Einstein und der
recht unbeeindruckt scheinenden Ada Lovelace und ich mache meinen
Frieden mit der Entscheidung. Zur Belohnung spielt mir mein
Unterbewusstsein einen graubärtigen Kreuzritter ein, der mir
zunickt: "Eure Wahl war weise!" Kurz bevor ich tatsächlich
geneigt bin ihm zu glauben, werden drei neue Karten in meine Richtung
geschoben und die (wunderbaren) Strapatzen beginnen aufs Neue.
A. Man, I love me some good drafting!
Würde mich
jemand fragen – und ich bin mir sicher, irgendwer da draußen wird
sich sicherlich dafür interessieren, egal was zwei-drittel der
Geister, die meine Wohnung heimsuchen, behaupten – warum ich meinen
frischen, zeitgemäß ausgestalteten und literarisch wertvollen
Brettspiele-Blog mit einer Rezension zu Steampunk Rally
einweihe, so hätte ich zwei Antworten parat: Erstens haben wir es
hier mit einem fantastischen (Ähem, Spoileralarm!)
Spiel (im doppelten Sinne) zu tun und zweitens mit einem, das in
unserer Spielerunde als gern gewählter Fundus von Anekdoten und
nostalgisch überhöhten Parabeln von der Ruchlosigkeit meiner
Freundin (im Folgenden schlicht "die Herzdame" genannt)
inzwischen einen festen Platz eingenommen hat.
Im Kern ist
SpR (Steampunk Rally) von Designer Orin Bishop und Roxley Games ein nicht
allzu schwergewichtiges Card-Drafting, Dice-Rolling und
Engine-Building-Game (Zur Bedeutung dieser merkwürdigen Worte später
mehr), in dem euer Ziel darin besteht als erster Pilot (und zugleich
einer von sechzehn illustren Wissenschaftler/-innen der Moderne) eine
möglichst intakte Steampunkapparatur über die Ziellinie einer
Rennstrecke in den schweizer Alpen zu manövrieren und dabei im
besten Falle nicht (allzu oft) zu explodieren. Ein Sieg erfordert
dabei nicht nur eine wohlüberlegte Auswahl an Maschinenteilen, den
geschickten Einsatz von Dampf, Elektrizität und Hitze, sondern auch
einige zum richtigen Zeitpunkt eingesetzte schmutzige Tricks.
Dieser
letzte, gemüterentzündende Faktor meiner Beschreibung gemischt mit
einer Prise des zumeist unterschwellig lodernden, aber auf der
Zielgeraden explosiv hervortretenden Siegeswillen der Herzdame ist
es, der jede unserer Partien SpR von einem in der Regel
leichtherzigen "everyman/woman for him/herself " in ein
Boss-Battle auf "Dark Souls"-Niveau verwandelt.
Zur
Illustration eine frühe, unveröfentlichte Fassung meines
vorliegenden Reviews, geschrieben nach unserem letzten gespielten
Rennen:
// Review
zu "Albert Einstein: Fury Road"
"Albert
Einstein: Fury Road" ist ein gnadenloses Wettrennen
einiger weniger, verzweifelter Überlebender, die ohne einen Funken
Hoffnung in ihren Herzen versuchen einem psychotischen
Irren, gefürchtet als Immortan Albert zu entfliehen,
indem sie, durch ein bedrohliches Kreuzfeuer von Partikel- und
Desintegrationsstrahlen, griechischem Feuer, Erdbeben und vorbei an
den brennenden Vehikeln ihrer glücklosen Freunde, die
rettende Grenzlinie einer Rennstrecke
überqueren und auf dem Weg dorthin im besten Falle
nicht (allzu oft) explodieren.
//
Striking resemblance, don't you think? |
Glücklicherweise haben wir für derartige Partien (d.h. diejenigen
in denen abermals ein todsicher geglaubter Plan auf der Zielgeaden
durch Fremdeinwirkung zwischen den eigenen siegesgierigen Fingern
zerbröselt) ein bislang weitgehend geheimes, jedoch äußerst
wirkungsvolles System entwickelt, um die aufkeimenden Verstimmungen
und unausweichlichen Vergeltungswünsche unter Kontrolle zu halten:
Der großzügige Einsatz von Teambuilding-Lasagne.
Sobald also Lasagne-Platten, Bolognese und Béchamel-Soße bereit
stehen, kann auch der eigentliche Spielaufbau in Angriff genommen
werden.
B. Spielablauf
Aufbau und Komponenten
Zunächst wird die Rennstrecke aus sechs Streckenabschnitten (Start,
Ziellinie und Ende, sowie drei von fünf möglichen Mittelteilen)
zusammengesetzt – wahlweise in der Erscheinungsform "Alpen"
oder für Fortgeschrittene umseitig auch als Variante "Hoverdrome"
mit zusätzlichen Sprung- und Publikumsabschnitten. Zudem
werden die (wunderbar schmackhaft aussehenden) Würfel (Dampf –
Blau, Hitze – Rot, Elektrizität - Gelb), sowie Zahnräder
bereitgelegt und die vier verschiedenen Arten Maschinenteile (Kupfer,
Silber, Gold und Boostkarten) in separate, verdeckte Nachziehstapel
neben den Spielplan sortiert. Wenn schließlich jeder Spieler einen
Schadensanzeiger, ein Glühbirnen-Token, sowie einen
Erfinder-Aufsteller seiner Wahl (oder nach Differenzenbeilegung in
der Donnerkuppel auch einfach nur einen der Erfinder, die
übriggeblieben sind) und beide zugehörige Fahrzeugteile (Cockpit
und erstes Maschinenteil) erhalten hat, kann das Rennen in die erste
(Spiel-)Runde gehen.
Spielziel
Sobald ein Spieler die Ziellinie überquert, wird die letzte
Spielrunde eingeläutet. Wer am Ende dieser Runde die größte
Strecke hinter der Zielline gut gemacht hat, wird zum Gewinner
erklärt. Im Falle eines Unentschiedens gewinnt derjenige der beiden
Spieler, dessen Erfindung aus den meisten Maschinenteilen besteht.
(Denn größer ist immer besser!)
Die (knappen) Basics
Jede Runde in Steampunk Rally besteht aus vier Phasen, die von allen
Spielern gleichzeitig, jedoch Phase für Phase abgehandelt werden.
Phase 1: Draft
Jeder Spieler erhält 4 Handkarten (je ein Maschinenteile in Kupfer,
Silber, Gold und eine Boostkarte), wählt sich von diesen eine aus
und legt sie verdeckt vor sich ab. Sobald alle Spieler gewählt
haben, werden die Karten gemeinsam aufgedeckt und entweder 1. als
Maschinenteil an die Erfindung angebaut (wobei immer zumindest eine
Ventil-Verbindung mit einem anderen Part hergestellt werden muss), 2.
für zwei Würfel der angegebenen Farbe oder Zahnräder eingetauscht
oder 3. im Falle einer Boostkarte verdeckt unter den Schadensanzeiger
gelegt und für den späteren Einsatz aufbewahrt. Die verbliebenen
Karten werden (je nach Runde wechselnd im oder gegen den
Uhrzeigersinn) an den nächsten Mitspieler weitergereicht, so lange
bis jeder Spieler insgesamt vier Karten ausgewählt und eingesetzt
hat.
Phase 2: Vent
In der Entlüftungsphase können die Spieler angesammelte Zahnräder
nutzen um den Würfelwert auf ihren aus den vorherigen Runden auf den
Maschinenteilen verbliebene Würfel pro Zahnrad um bis zu zwei Punkte
zu reduzieren (d.h. entweder einen Würfel um 2 Punkte oder zwei
Würfel um jeweils einen Punkt). Würfel deren Wert unter eins fällt
werden von den Maschinenteilen entfernt.
Phase 3: Race
Die in der Draftphase erhaltenen Würfel werden nun gewürfelt
(Zahnräder können auch in dieser Phase eingesetzt werden, um den
Wurf eines Würfels zu wiederholen und einen gewürfelten Wert um
einen Punkt zu erhöhen) und können je nach erwürfeltem Wert
eingesetzt werden, um Maschinenteile und deren spezifischen Effekte
zu aktivieren.
Marie Curie's teilweise aktivierte Höllenmaschine. |
Die Palette reicht dabei vom Generieren neuer Würfel, Zahnräder und
Schutzschilde – deren Bonus auf dem Schadensmarker vermerkt wird –
über das Entfernen von Würfeln aus der Maschine (im besten Falle
solche, die Plätze in der Erfindung mit hohen Werten längere Zeit
blockieren würden), bis hin zur ganz profanen Bewegung. Die
eingesetzten Würfel können dabei Effekte auch mehrfach aktivieren,
falls ihre Augenzahl ein Vielfaches des erforderlichen Werten
aufweist (also bspw. dreifach, wenn eine 6 in einen Slot eingesetzt
wird, der mindestens eine 2 benötigt). Alle ausgelösten Wirkungen
werden dabei sofort ausgeführt, was im Besonderen für die
Fortbewegung relevant ist, denn die gibt es in zwei Varianten: Als
normale Bewegung und als goldene Version, die schwieriges Gelände
ignorieren darf. Solange dieses nämlich nicht umgangen oder
andersweitig ausgehebelt wird, muss für jeden überquerten
Terrainpunkt der Schadensanzeiger um einen Punkt verringert werden.
Phase 4: Damage
Falls der Schadensanzeiger in der Damage-Phase über 0 steht, so
müssen keine Anpassungen vorgenommen werden. Sollten die Spieler
ihre Erfindungen aber so sehr geschuden haben, dass die Integrität
der Maschine in den negativen Bereich gesunken ist, so muss pro
Schadenspunkt ein Maschinenteil abgeworfen werden. Wer seine
Erfindung gänzlich schrottreif gefahren hat und sein Cockpit
abwerfen müsste, der explodiert stattdessen und fällt auf das Feld
hinter dem aktuell letztplatzierten Spieler zurück.
C. The Good, the Bad, the Weird
The Good
Allen voran punktet "Steampunk Rally" durch ein nahezu
einzigartiges Thema: Wo sonst könntet ihr euch mit Lise Meitner mit
einer Steampunkseifenkiste einen Abhang hinabstürzen? Wer sich in
der Lage sieht die Augen vom hinreißenden Artwork der Karten und den
wunderbar comichaft eingefangenen Erfinderstandees zu lösen und
zudem nicht wie meine Person in ständiger Versuchung lebt eine
Handvoll der durchsitigen, farbenfrohen Würfel in den Mund nehmen zu
wollen und daran herum zu lutschen (Keine Angst Spielegruppe, das ist
– bislang – noch nicht vorgekommen!), der bekommt auch auf
technischer Seite ein nahezu makelloses Spielerlebnis, das seinen
Gegenstand auch hervorragend mechanisch einfängt. Letztlich macht es
einfach jede Menge Laune blaue "Dampf"-Würfel in einem
Generator zu werfen um dann mit einer riesigen Menge Elekrizität
seine Arachnolegs voranzupeitschen.
Fast alle unserer bislang gespielten Partien (Mit wechselnder
Spieleranzahlen, ohne jedoch bisher das Maximum von 8(!) möglichen
Spielern erreicht zu haben, was vermutlich einen wesentlich größeren
Tisch in unserem Wohnzimmer notwendig machen würde) blieben dabei
bis zum Ende fesselnd, denn auch klug zusammengestellt kleinere
Erfindungen können mit der Hilfe von Boostkarten gut mit den oftmals
im Laufe der Partie entstehenden, riesigen Steampunk-Leviathanen
mithalten, die ohne die notwenige Versorgung durch Zahnräder und
Ressourcen schwer zur Höchstleistungen auflaufen. Besonders die
Finalrunden werden häufig zu Zerreisproben für die Spieler und ihre
Erfindungen, die an alle ihre möglichen und unmöglichen Grenzen
getrieben werden. Ein Beispiel gefällig? Schiebt schonmal die
Teambuilding-Lasagne in den Ofen, wir kommen zurück zur Herzdame.
Die "Herzdame" folgt auch bei Steampunk Rally einem recht
simplen Prinzip: Verlieren ist absolut in Ordnung. Zumindest
solange man einen einzelnen großartigen Zug im Laufe des
Spiel generieren kann, der einen bestenfalls auch noch mit den
qualmenden Überresten seiner Widersacher belohnt, an denen mann dann
diabolisch kichernd vorbeiziehen kann. Dann muss man eigentlich auch
gar nicht mehr verlieren. Hurra! Wie man das zustande bringt? Nunja,
ihr könntet etwa, wenn ihr bemerkt, dass eure Rivalen recht komplexe
Maschinen errichtet haben und euch dicht auf den Fersen sind, die
Karte "Disintegrator Ray" spielen und sie einen Punkt
Schaden für jedes ihrer Maschinenteile über dem 6. hinaus erleiden
lassen. Und, weil ihr dann gerade schon dabei seid, verleiht doch
jedem Feld auf der Strecke, das keinen Terraieffekt hat mit "Wheater
Machine" einen Punkt Schaden. Oh, und einem anderen Feld am
besten noch zwei weitere Schadenspunkte mit "Greek Fire",
wir wollen doch nicht geizen! Falls ihr aber auch selbst einiges an
Schaden einstecken musstet, keine Sorge, die "Mass Ejection"
befördert euch noch zwei Felder nach vorn, ganz sorgenfrei.
Herzlichen Glückwusch, sie haben ihre Konkurrenten ausradiert!
The Bad
Abgesehen von der zermürbenden Wirkung einer Partie Steampunk Rally
mit Spielern, die einen kleinen "Take that"-Mechanismus
gerne mal überanspruchen, gibt es vor allem zwei Aspekte an denen
nicht jeder Gefallen finden wird. Einerseits existiert neben dem
Draft, der immer auch eine Einschätzung der Gegenspieler erfordert
(Was sollte/kann ich mir erlauben weiterzugeben; Wovon hat mein
Gegner den meisten/wenigsten Nutzen?) und dem Einsatz besagter
Boostkarten existiert nahezu keine Interaktion zwischen den Spielern.
Die Vent-, Race- und Damagephasen präsentieren sich dementsprechend,
und darin besteht auch zugleich das zweite mögliche KO-Kriterium,
eher als komplexes Solitär-Puzzlespiel, in dem ihr alleine eure
Optionen abwägt und den optimalen Einsatz für eure Würfel
berechnet. Das Spiel ähnelt in diesem Punkt dem Mitbewerber um den
"Preis für die leckersten Würfel" Roll for the Galaxy,
hält für den geneigten Social Gamer gerade durch den potentiellen
Einsatz der Boostkarten jedoch eine ganze Reihe mehr Möglichkeiten
bereit seinen (ehemaligen) Freunden die Suppe zu versalzen.
The Weird
Kennt ihr diesen Moment, wenn ein Mechanismus eure Immerison bricht?
Gerade befindet ihr euch noch applaustrunken im "Hoverdrome",
fliegt mit einem weiten Sprung über die eingestürzten Brückenteile
hinweg und seid nun dabei neue Pläne für die Verbesserung eurer
Erfindung zu schmieden. Hey, ein Propeller! Das wär doch genau das
Richtige um eurer "Turborachnominator" das letzte nötige
Fünkchen Esprit zu verleihen! Aber halt: Ihr habt keinen Platz für
einen Propeller...
Oder etwa doch? Ja, bestimmt, denn das Spiel erlaubt es euch zu jeder
Zeit eure Maschinenteile neu zu ordnen oder nicht mehr benötigte
Maschinenteile abzuwerfen. Inklusive der darauf befindlichen Würfel,
die ihr bereits für die Aktivierung eingesetzt habt: "Entlüften?
Nein, nein, da wo ich herkommen sprengen wir den Sch..ss einfach ab!"
(Well, that escalated quickly...)
Fazit
Großartiges, zum Ende einer Partie bisweilen recht komplexes, farbenfrohes und mitunter auch wildes Brettspiel für fortgeschrittene Baumeister und Naturgesetzebieger.
Zusätzliche Informationen
Verlag: Roxley Games
Autor: Orin Bishop
Spielerzahl: 2 - 8
Spieldauer: ca. 60 - 90 Minuten
Altersempfehlung des Verlags: 14+
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